Wie lange ist ein Bild noch ein Original aus der Kamera?

>Moin!
>
>Viele kennen ihn sicher noch von früher: Den Knopf
>"linear" oder "pure" an der Stereoanlage.
>Schon dort war die Diskussion entbrannt, welche Veränderungen
>am Original (in diesem Fall die Schallplatte oder später die
>CD) noch erlaubt waren, oder welche Frevel sind. Wie sieht es
>da bei den modernen Photoapparaten aus? Sollen die Kunstwerke
>"RAW" und unverändert aus der Kamera kommen oder
>sind Veränderungen erlaubt? Ich habe den Eindruck, dass die
>wirklich eindrucksvollen Fotos immer "direkt" aus
>der Kamera kommen! Wie sehen das andere Nikonians?
>
>Beste Grüße!

Vielleicht ist die Sache einfach so: Raw ist die Grundlage und die Kunstwerke entstehen mit Dir.
Und je weniger die Kamera verändert, um so ursprünglicher ist das Bild.
Ich denke mit Deiner "Eindruck" wirst Du recht haben gg

Es ist und bleibt ein Original, solange Du absolut gar nichts damit gemacht hast. Was ich meine... keine Veränderungen oder Anpassungen des RAW Files.

Nach den Anpassungen ist es immer noch ein Original von Dir.
Aber eben kein Original mehr direkt aus der Kamera.

Joerg - Nikonian from Stuttgart, Germany

The Vision: Share, Learn and Inspire

Interessante Frage, doch bevor ich antworte,
darf ich dich bitten, deinen realen Namen in
deinem Profil einzufügen.

Danke.

Früher nutzte man auch unterschiedliche Filme, Farbfilter, Polfilter ...
was heißt schon original?!

Die Farbwerte und der Kontrastumfang einer Kamera sind auch sehr individuell.

Fotografie ist Illusion! Das ist ein Spruch, der mir im Gedächtnis geblieben ist.

Es ist ein Bild, das Du machst und dem Betrachter übermittelst.
Es ist nicht das Original.

Zum Vergleich zu den Stereoanlagen fällt mir ein Unterschied auf.
Meist hatten all die Regler, Equaliser etc. Klangeinbußen, so dass hochwertige Anlagen darauf verzichteten.

Das ist bei digitaler Fotografie nicht das Thema.

Früher hat der Labormitarbeiter oder die Entwicklungsmaschina auch am Kontrast, WB etc. gedreht, sprich auch kein Original angefertigt.

Das gab es nur bei der Diafotografie.

Ich persönlich finde es eine Bereicherung und keinen Verlust, die Bilder nachträglich optimieren zu können, aber es bedarf schon eines sehr geschulten Auges, den richtigen Punkt zu finden. Ich lerne noch, diesen zu finden.

Fotografie ist immer eine subjektive Darstellung, genau so, wie schon alleine wir Menschen eine subjektive Wahrnehmung unserer Umgebung haben.

Das ist nicht erst seit Digital so, das gab es auch schon zuvor: Dunkelkammer-Arbeit war schon immer ein anerkannter Teil des Prozesses der Kreativität. Selbst grosse Meister wie Ansel Adams haben ganz klar festgestellt, dass die Bearbeitung der Bilder einfach notwendig ist, um den Eindruck, den man selber bei der Aufnahme hatte (der ja auch unserer internen "Verarbeitung und Verfremdung" dank unseres Gehirns zu verdanken ist) so wiederzugeben, wie wir es unseren Betrachtern weitergeben wollen.

Ich denke, dass eine Bildverfälschung erst eintritt, wenn Bilder zur bewusst falschen Wahrnehmung eingesetzt werden: Personen, die auf Bilder plötzlich fehlen, Gegenstände, die entfernt oder hinzugefügt werden, um das Bild dann als "Beweismittel" oder zur gezielten Einflussnahme einzusetzen. Wenn also bewusst durch Änderungen am Bild Schaden verursacht werden soll.

Alles andere ist für mich Teil des Prozesses "Fotografie". Gekonnte Nacharbeit ist genauso Teil des Wissens und des Handwerks Fotografie wie die Aufnahme selber. Diese ist der erste Schritt, das Ergebnis ist das fertige Bild. Dazwischen liegt Arbeit, Können und Intuition.

ABER: aus einem schlechten Ausgangsbild wird auch durch viel Nachbearbeitung kein Meisterwerk. Wirklich eindrucksvolle Fotos kommen insofern schon direkt aus der Kamera, aber das heisst nicht, dass sie so auch perfekt sind. Sie sind der "Rohdiamant", den man in der Nachbearbeitung oder im Labor noch perfektionieren MUSS.

Insofern ist für mich der perfekte Fotograf nicht der, der mit JPG direkt aus der Kamera das optimale Ergebnis erzielt (denn dabei ist er auch noch vollkommen von Algorithmen irgendwelcher Programmierer abhängig, die noch mehr "verfälschen" als so mancher Photoshop-Freak), sondern der, der alles auf "neutral" stellt, RAW fotografiert und das Bild dann so anpassen kann, dass es seinem Eindruck, seiner Vorstellung entspricht.

Ob das Mittel dazu Entwickler, Papier, Zeit, Verdünnung, Abwedeln, Nachbelichten heisst, oder eben Aperture, NX2 oder Photoshop, ist zweitrangig. Das Verständnis um Kontraste, Farben, Tonwerte und das Werkzeug selber sind ausschlaggebend, und das ist das Wissen des Künstlers, so wie ein guter Maler nicht nur Inspiration hat, sondern vor allem das Wissen, wie man diese Inspiration umsetzen kann.

"Echte" Fotografie ist ein Prozess, der Können und Erfahrung einschliesst. Frevel ist es eher, sich auf Automatismen und Sensoren zu verlassen, ohne deren Zusammenhänge wirklich zu kennen.

In der Musik liegt eine viel wichtigere Analogie: die Künstler haben die Musik nach ihrer Überzeugung geformt, nun sollen wir sie so unverfälscht wie möglich wahrnehmen. Auf die Fotografie übertragen hiesse das, dass wir als Künstler unser Bild formen sollen, die Betrachter sie aber nicht verändern sollten, da sie sonst unsere Vorstellung verändern. Der Frevel beginnt also erst, wenn wir als Fotografen längst fertig sind.

Oder umgekehrt auf die Musik übertragen: wir verlangen ja auch nicht, "unverfälschte" Musik als blosses Hineinblasen in ein Instrument zu hören, als nur mechanisch auf die Tasten hauen, weil alles andere ja eine Verfälschung des originalen Tons des Instrumentes wäre. Im Gegenteil: erst die Veränderung durch den Künstler, die persönliche Note, macht das "Original" aus. Wie bei unserem Foto.

Das ist meine Sicht der Dinge, ganz subjektiv und persönlich.